LEIDEN - WARUM?

LEIDEN - WARUM?

            Jesus stirbt am Kreuz. Schwach, ausgeliefert, mit Todesangst und Schmerzen. Er hatte Durst, bekam keine Luft mehr. Und dann schreit er: „Warum? Mein Gott? Hast du mich verlassen?“ Auch seine Seele hat ihre Sicherheit verloren, hat kein Dach mehr, keinen Schutz. Er schreit zu seinem Gott, fragend: Warum? Warum lässt du mich so hängen? Hast du mich denn verlassen? Mein Gott? Kümmert es Dich nicht, dass ich leide? Wo bist Du? Jesus ruft nach seinem Gott.

            Ich bin sicher, Du kennst diese Frage. Warum? Warum ich? Warum musste das geschehen? Warum so früh? Warum zu spät? Warum, mein Gott? Ich bin sicher, Du kennst diese Erfahrung – in irgendeiner Form. Das Gefühl, dass einen alle hängen lassen. Und Du denkst, dass Dein Ruf nach Gott und seiner Hilfe in der Luft hängt. Unter der Zimmerdecke. An einem leeren Himmel ohne Zeichen. Und da hängt Jesus. Und fragt: Warum? Das ist keine Antwort auf unsere bitteren Fragen. Aber: Hier ist einer, der mit-schreit.

            Ich entdecke hier große Trostkraft. Er schreit mit uns mit. Leidet mit dir mit. Er hängt da. Und ich hänge mich an ihn dran. Jesus weiß, er versteht, nicht theoretisch, sondern wahrhaftig. Er weiß, was Einsamkeit ist. Verlassenheit. Tränen. Seine Freunde haben kein einziges Versprechen gehalten. Er kennt Liebe. Abschied. Enttäuschung. Er weiß, was es heißt, verzweifelt zu beten, Gott möge doch eingreifen und einen anderen Weg finden. Er weiß, was es heißt, ein Mensch zu sein. Er kennt das Leben mit seinen vielen Irritationen. Er teilt es mit Dir. Er lässt dich nicht los. Gerade in den dunklen Momenten, ist er nah. Auch die schwere Frage nach Gottes Macht und Liebe stellt er mit Dir mit.

            Ich selber kenne Suchen, Fragen, Zweifel und Ringen. Gott scheint oft so weit weg. In der Ohnmacht von Jesus am Kreuz entdecke ich die Macht des Trostes. Die Macht der Liebe und der Nähe. Ich habe eine Frage gefunden – und den einen, der sie mit mir mitfragt. Und ich erwarte – mit ihm – dass Gott antwortet.

            „Nur der leidende Gott kann helfen“, sagt Dietrich Bonhoeffer. Und der unerkannte Jesus, der Auferweckte, fragt auf dem Weg nach Emmaus: „Musste Christus dies nicht erleiden?“ (Lukasevangelium Kapitel 24, Vers XX)

            Sollte Gott, der Ewige, der durch sein Wort unsere Erde und alles Leben ins Dasein liebte, sollte Gott, der Befreier, der sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten und später die in Babylon Verbannten aus dem Exil führte, sollte dieser Gott seinen geliebten Sohn dem Tod überlassen? Muss der endgültige Sieg über den Tod durch Sterben und Tod hindurch errungen werden? Ja, denn nur so können wir wissen: Dass Gott auch mit dem Tod zu schaffen hat. Ja – denn wie kann und wie soll Liebe zeigen, dass sie stärker ist als alle Todesmächte, wenn sie Leiden und Tod vermeidet?

            Trostkraft entdecke ich hier: Gott hat auch mit dem Tod zu schaffen. Jesus kennt meine Tränen, meine Zweifel. Wir sind nicht alleine. Nicht auch, sondern gerade im Schmerz ist Gott uns nah.

Christina Brudereck