BEICHTE

BEICHTE

Sünde: Die Lücke, die schmerzt

Sünde ist die Lücke zwischen Ideal und Wirklichkeit. Zwischen dem, was wir an Gutem wünschen und dann doch an Falschem tun. Diese Lücke wird manchmal größer oder kleiner empfunden als sie wirklich ist. Manchmal wird sie gar nicht empfunden. Manchmal haben wir sie uns einreden lassen. Aber es gibt sie. Der Apostel Paulus beschreibt diese Zerrissenheit so:

„Das Gute, das ich will, verwirkliche ich nicht.

Aber das Schlechte, das ich nicht will, das vollbringe ich.

Wenn ich aber das tue, was ich nicht will,

dann bestimme ich nicht mehr selbst über mein Handeln,

sondern die Sündenmacht, die mich besetzt. (...)

Und ich entdecke die Gebote, ich, der das Gute tun will.

(Paulus im Römerbrief, Kapitel 7, Verse 19 bis 21).

 

Die Liebe der Vergebung anzunehmen, bedeutet, dass ich zwar meine Wirklichkeit von meinem Ideal trennt, aber nicht von Gott. Diese Erfahrung setzt eine Kraft frei, die mir hilft, mit der Lücke zu leben – und zu wünschen, dass sie sich verändert.

In der Beichte übe ich, die Lücke hinter mir zu lassen. Ich lasse meine Sünden los. Ich spreche sie aus und gebe sie Gott. Sie gehören mir dann nicht mehr. Weil ich von Gott nicht mehr auf meine Lücken festgelegt werde, will ich selbst es auch nicht mehr tun. Manchmal kann es hilfreich sein, Schuld vor einem anderen Menschen zu beichten. Anonym in einem Beichtstuhl, bei der Telefonseelsorge oder persönlich bei einer Person meines Vertrauens. Klar muss sein, dass alles Ausgesprochene nicht an Dritte weitergesagt wird. Es ist wohltuend, den Zuspruch „Dir sind Deine Sünden vergeben“ aus dem Mund einer anderen Person zu hören.

In unserem Kulturkreis ist es für viele Menschen üblich, zum neuen Jahr gute Vorsätze zu fassen. Diese Vorsätze haben keinen so guten Ruf, denn sie können schnell vergessen werden. Manchen sind sie aber auch sehr wichtig, sie treffen Verabredungen mit anderen und versuchen, sie einzuhalten. Wenn im Judentum Rosch Haschana, Neujahr, gefeiert wird, passiert in gewisser Weise genau das Gegenteil: Alle werden von ihren Versprechen entbunden. Die Gläubigen können sich von Gelübden befreien. Wie von Schulden auf der Bank, wie Wechsel eintauschen, die nicht gedeckt waren, um so ausgeglichen ins neue Jahr zu gehen, ohne alte Lasten mitzunehmen. Beichte bedeutet, befreit zu werden von dem, was ich anderen schuldig blieb. Von allen Versprechen, die ich gegeben habe. Von allen Gelübden und Vorsätzen, die ich nicht gehalten habe.

Beichte meint, mit Leichtigkeit weiterleben. Mit den Geboten, aber ohne die Traurigkeit über unsere Versäumnisse. Mit den Weisungen Gottes, aber ohne die Versprechen, die wir nicht halten konnten. Mit den Ideen der Bibel, aber ohne den Kummer darüber, dass wir ihnen nicht folgten.

Ich mag diese jüdische Neujahrs-Idee, denn ich merke, dass sie mehr Kraft hat

als die Vorsätze, mehr Kraft als das „Du wolltest“, „Du solltest“ und „Du musst.“ Paulus entdeckt in seiner Zerrissenheit die Gebote. Die Freude über die Weisungen Gottes hat mehr Kraft als die Reue. Die Freude an den Ideen Gottes zieht uns weiter zum Guten. Die Erfahrung, dass die Lücke zwischen Ideal und Wirklichkeit nicht zwischen Gott und mir steht, beflügelt mich.

Christina Brudereck