FASTENZEIT

GEDANKEN ZUR FASTENZEIT VON ANSELM GRÜN

Fasten 

Alle Weltreligionen kennen diese Idee: Eine Zeit lang zu verzichten. Auf Essen. Oder auf andere Dinge und Gewohnheiten. Eine Zeit lang ohne etwas auszukommen, Liebgewordenes, Selbstverständliches. Im Judentum z.B. fasten an den ganz hohen Festtagen wie Jom Kippur sogar Menschen, die sonst nicht besonders genau nach den religiösen Geboten leben. Im Islam ist die Fastenzeit Ramadan eine der fünf Säulen des Glaubens. Im Christentum wird in den 7 Wochen, 40 Tagen vor Ostern gefastet und im Advent. Es scheint etwas allgemein Menschliches zu sein, freiwillig verzichten zu wollen.

            Beim Fasten geht es um Freiheit und Abhängigkeit: Wer fastet, der hat die Chance, sich selbst zu überraschen. Fällt es mir leicht, sieben Wochen auf Schokolade zu verzichten? Ist mein Leben anders, wenn ich keinen Rotwein trinke? Was entdecke ich, wenn ich täglich einen Psalm lese? Wer fastet, der schafft sich selbst neue Freiräume. Und entlarvt die Abhängigkeiten. Die Süchte. Dahinter steckt auch die Frage: Wer ist mein Gott? Wer oder was beherrscht mich? Also fasten Menschen, um ihre Unfreiheit aufzudecken und zu neuer Freiheit zu finden.

            Außerdem geht es um Reinheit und Vorbereitung. Denn die Fastenzeit hat ein Ziel. Fasten hat h keinen Selbstzweck, sondern die Idee ist: Wir werden leer, frei, offen, bereit – für etwas Neues. Für Gott. Für Gottes Reden, Handeln. Frei, um Entscheidungen zu treffen. Bereit, etwas Neues zu beginnen. Auch mutig, etwas zu riskieren. Oder eben vorbereitet, wie bei einer Hochzeit: auf ein Fest; im Christentum auf Weihnachten oder Ostern.

            Drittens geht es in der Fastenzeit um Gerechtigkeit. Die Bibel sagt sehr streng: Das wahre Fasten ist, die Armen zu versorgen. (Jesaja) Wenn die Reichen verzichten, und sich dann noch heiliger fühlen, betrügen sie sich selbst, wenn sie dabei die Menschen vergessen,

für die freiwilliger Hunger gar keine Option ist. Nie geht es nur um die religiöse Befolgung eines Gesetzes; sondern darum, das unser Blick zürechtgerückt wird, für Überfluss, Mangel, Luxus, Not. Die Idee ist, dass das unserem eigenen Ausgleich dient, uns in Balance bringen kann; und diese Welt ausgleicht. Was Du Dir sparst in der Fastenzeit spendest Du an die Armen.

            In der christlichen Fastenzeit vor Ostern wird die letzte Strecke des Weges von Jesus von Nazareth bedacht. Dass es enger wurde für ihn. Dass er weiter liebte. Jesus selber kündigt irgendwann an, sagt zu seinen Vertrauten: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem. Und der Mensch wird Hohenpriestern und Toragelehrten ausgeliefert werden, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und den Völkern ausliefern zum Verspotten, zum Foltern und Kreuzigen, und am dritten Tage wird er auferweckt.“ (Matthäus-Evangelium Kapitel 18, Verse 18 und 19). Er wusste: Jerusalem – da sitzen die Mächtigen. Da wird es brisant. Jerusalem: da wird der Messias erwartet. Er wird belauert. Verraten. Verkauft von einem seiner Freunde. Dann verhaftet. Verspottet. Verurteilt. Dann gefoltert, gekreuzigt. Und begraben.

            Das Christentum meint: Wir können nicht feiern, während Jesus leidet. Wir wollen mitgehen. Nachfolgen. An seine Liebe erinnert werden und an seine Konsequenz.

Wir denken an seine Einsamkeit, an seinen starken Willen, an die Schmerzen. Wir fasten, um mitzugehen. Das lateinische Wort „reducere“, von dem unser „reduzieren“ sich herleitet, meint wörtlich „zurück-führen“. Der freiwillige Verzicht führt uns zurück zum Wesentlichen, zur Quelle, zu dem, was wirklich satt macht.

             Konkrete Ideen für die Fastenzeit: Sieben Wochen lang jeden Tag einen Abschnitt aus der Leidensgeschichte von Jesus lesen (zum Beispiel Matthäusevangelium Kapitel 21-27). Einen Fastenkalender mit Impulsen für die Fastenzeit kaufen. Sieben Wochen ohne Alkohol, Fleisch oder Süßigkeiten. Ohne Fernsehen oder Shoppen. Sieben Wochen lang auf Blumen verzichten und die Wohnung nur mit Zweigen und Dornen dekorieren. (Die Osterglocken sind dann ein echter Freuden-Schock!).

 

Gebet

Ich möchte frei werden, um Entscheidungen zu treffen.

Bereit, etwas Neues zu beginnen.

Mutig, etwas zu riskieren.

Dass mir klar wird, wo ich im Überfluss lebe,

wo ich zu viel habe, zu viel will, wo meine Ansprüche zu hoch sind.

Zeig mir, wo ich falsche Lösungen suche

und mein Herz mit Dingen füttere, die nicht satt machen.

Ich möchte frei werden, um die Freiheit anderer zu fördern.

Christina Brudereck