GEBET

Gebet

Die längste Reise ist die Reise nach innen. 

Ich sitze hier vor dir, Herr, aufrecht und entspannt, mit geradem Rückgrat. Ich lasse mein Gewicht senkrecht durch meinen Körper hinunter sinken auf den Boden, auf dem ich sitze. Ich halte meinen Geist fest in meinem Körper. Ich widerstehe seinem Drang, aus dem Fenster zu entweichen, an jedem anderen Ort zu sein als an diesem hier, in der Zeit nach vorn und hinten auszuweichen, um der Gegenwart zu entkommen. Sanft und fest halte ich meinen Geist dort, wo mein Körper ist: hier in diesem Raum. In diesem gegenwärtigen Augenblick lasse ich alle meine Pläne, Sorgen und Ängste los. Ich lege sie jetzt in deine Hände, Herr. Ich lockere den Griff, mit dem ich sie halte, und lasse sie dir. Für den Augenblick überlasse ich sie dir. Ich warte auf dich, passiv und erwartungsvoll. Du kommst auf mich zu, und ich lasse mich von dir tragen. Ich beginne die Reise nach innen. Ich reise in mich hinein zum innersten Kern meines Seins, wo du wohnst. An diesem tiefsten Punkt meines Wesens bist du immer schon vor mir da, schaffst, belebst und stärkst ohne Unterlass meine ganze Person. Gott, du bist lebendig. Du bist in mir. Du bist hier. Du bist jetzt. Du bist. Du bist der Grund meines Seins. Ich lasse los. Ich sinke und versinke in dir. Du überflutest mein Wesen. Du nimmst von mir Besitz. Ich lasse meinen Atem zu diesem Gebet werden. Mein Atmen, mein Ein- und Ausatmen, ist Ausdruck meines ganzen Wesens. Ich tue es für dich, mit dir, in dir … 

(nach Dag Hammarskjöld) 

Gebet: Wie in jeder Beziehung

Eine Beziehung lebt davon, dass wir uns austauschen, dass wir uns mitteilen, dass wir sagen, was uns auf dem Herzen liegt und auch erfahren, hören, was unserem Gegenüber wichtig ist. In Deiner Ehe ist es so, in Deinen Freundinnenschaften, in der Beziehung zu Denen Kindern, zu Nachbarn und Kolleginnen. In den Phasen, in denen wir uns keine Zeit nehmen zum Reden, weil wir es nicht schaffen oder nicht wollen, wachsen die Missverständnisse. Die Sehnsucht nach neuem Vertrauen und Verständnis, nach gegenseitigem Verstehen und einem guten Miteinander, treibt uns dann dazu an, das Gespräch wieder zu suchen.

So auch in der Beziehung zu Gott. Die Beziehung wird lebendig, wenn wir beten, wenn wir uns mitteilen und Gott sich mitteilen lassen. Wer betet, sagt immer: Ich habe ein Ziel, das über mich selbst hinausgeht. Im Gebet gehe ich über mich selbst hinaus, wende ich mich an Gott und sage: Ich bin mir selbst nicht genug. Ich habe mein Leben nicht allein in der Hand. Ich sehen mich nach Mehr.

Christina Brudereck