DER GLAUBE
Der Glaube
GLAUBE IST VERÄNDERUNG
Ich berge mich mit meinem Gottvertrauen in einer Tradition, die weit älter ist als ich, weit älter auch als Jesus von Nazareth. Das Wichtigste, was diese Tradition über Gott sagt, ist: Gott ist ein Du. Gott ist Gott in Beziehung. Eine Tradition, deren Weisheit gewachsen ist, in Jahrhunderte, Kulturen, weltweit; die für mich in Jesus einen einzigartigen Funken schlug.
Was ich als Kind meinte, wenn ich Gott sagte, ist anders als das, was ich als Zwanzigjährige dabei dachte, als Dreißigjährige empfand, ist anders als das, was ich heute sage. Und ich denke, es wird sich noch weiter verändern. Als Kind war Gott für mich da, wenn meine Eltern und Großeltern Geschichten erzählten und die Feste des Glaubens feierten. Gott war mit Weihnachten der große Schenker und liebbar wie ein kleines Baby. Gott war mit der Passionszeit fähig, mitzuleiden und mit Frühling und Ostern der Lebendige, der mächtige Schöpfer, das Leben überhaupt.
Als 20-jährige, beeindruckt von meinem Leben und Arbeiten in Südafrika, war Gott der einzige, der nicht korrupt war. Ehrlich gesagt: Die einzige. Unbestechlich, bedingungslos treu, engagiert. Eine schwarze, starke Mutter. Ich mochte die kosigen Gottes-Namen meiner afrikanischen Freundinnen: „Große Schwester. Lieblingsfreundin. Große Mama. Brunnenbauer in der Wüste. Land der Versöhnung. Bank, die die Schulden erlässt.“ Ich lernte auch: Wenn Gott nur „lieb“ ist, ist sie nicht Gott.
Als 30-jährige war Gott für mich Liebhaber, wieder der Schöpfer, Künstler und Hüter der inneren Stärke. Ich bin immer neugieriger auf Gott geworden mit der Zeit. Der Zweifel war mir dabei ein Bruder des Glaubens. Kein unbeliebter Verwandter, ein Bruder.
Als 40-jährige bekomme ich neuen Zugang zu den gewaltigen Worten über Gott. Nicht gewalttätigen, gewaltigen. Ich bin nicht mehr so kontrolliert wie in jüngeren Jahren; ich merke, dass ich überwältigt sein kann; von Glück oder Schmerz oder Zorn. So bekomme ich in diesen Jahren auch zum 1. Mal Zugang zum zornigen Gott. Ich weiß, dass mein Zorn längst nicht immer heilig ist; aber ich ahne, dass Zorn nicht nur entsteht aus beleidigtem Stolz, sondern auch aus Hunger nach Gerechtigkeit, aus Ohnmacht, aus Ungeduld. Ich ahne, dass Zorn angemessen sein kann in dieser Welt. Und damit er nicht die eigenen Rache-Bedürfnisse befriedigt, ist es gut, wenn er Orte hat, Platz im Leben, wo er sich austoben darf...
Gott ist der Ort, an dem ich mich mit meinem Zorn berge; gut zu wissen, dass diese Regung Gott nicht fremd ist und auch Jesus nicht. Wenn wir über Gott sprechen, sind wir begrenzt und beteiligt. Dass ich eine Frau bin, prägt meinen Glauben. Dass ich wohlhabend bin und satt, prägt meinen Glauben. Im Westen aufgewachsen und zur Schule gegangen. Dass ich gesund bin, laufen kann, dass ich Arbeit habe, prägt meinen Glauben. Was ich bin und wer ich bin, wer Sie sind, einflussreich, klug oder einsam, prägt auch unser Denken von Gott. Auch deshalb sind wir auf Gemeinschaft angewiesen, damit wir Gott nicht einsperren und auf unsere Erfahrungen reduzieren.
Mit Gott kommen wir nicht ans Ende. Es geht immer weiter. Zu unserem Glück. Es bleibt anders. Spannend. Eine Entdeckungs-Reise.
Christina Brudereck