Die Kräfte der Natur ziehen sich zurück. Die Bäume haben ausreichend Licht getrunken. Nun lagern sie ihre Reserven in Wurzeln und Rinde ein und trennen sich von ihren Blättern. Die Tage werden kürzer und dunkler. Viele Tiere suchen sich einen Ort für die Winterruhe oder den Winterschlaf, und in der Luft liegen herbe Aromen von Laub und Verfall. Auch wir sind Natur. Tief im Inneren hören wir den Ruf der Jahreszeiten deutlich: im Herbst und an der Schwelle des Winters spüren auch wir das Nachlassen unserer Kräfte, eine wachsende Müdigkeit und eine Sehnsucht nach Innerlichkeit. Manche von uns befällt Schwermut. Gerade jetzt ist es wichtig, auf unsere Bedürfnisse achtzugeben und von der Weisheit der Natur zu lernen. Wenn alles langsamer und stiller wird, tun auch wir gut daran, uns eine Phase der Ruhe zuzugestehen.
NOVEMBER
November,
du heilsame Zeit der Nachsicht.
Du Zeit, in der die Farben sterben dürfen
nach dem letzten rauschenden Fest
aus Röte und Gold.
Du hast schon gewartet
hinter randvollen Körben,
zwischen Quitten, Birnen und Pilzen
und dem beglückenden Duft
fruchttragender Arbeit.
Du hast schon leise gerufen
nach den müden Händen,
die ausruhen wollen,
nach den schwer gewordenen Lidern
und den mit Erfahrung gesättigten Herzen.
Du hast deine Arme
um das alternde Jahr gelegt
und um alle Dinge,
für die es nun zu spät geworden ist.
In dir verläuft die Schwelle
zwischen Herbst und Winter,
auf die du uns setzt
wie Vögel auf Zweige,
die bereit sind, ein Lied zu vergessen
und sich ein neues schenken zu lassen.
von Giannina Wedde, In winterweißer Stille, Ein Begleiter durch die dunkle Jahreszeit.