Moment mal -
Mach dich auf den Weg und entdecke dein Leben.
Moment mal -
Nimm dir Zeit für die wichtigen Dinge in deinem Leben.
Moment mal -
Machen wir uns gemeinsam auf den Weg durch die Fastenzeit.
Moment mal - Augen-Blick mal
Das Geschenk des Rabbi
Da war ein berühmtes Kloster, das in große Schwierigkeiten geraten war.
Seine vielen Gebäude waren früher voll junger Mönche gewesen, und seine
Kirche wurde von ihrem Chorgesang erfüllt.
Aber jetzt war es verlassen. Es kamen keine Menschen mehr dorthin, um sich
im Gebet Stärkung zu holen. Eine Handvoll alter Mönche schleppte sich müh-
sam durch die Kreuzgänge. Sie priesen Gott mit schwerem Herzen.
Am Rande des Klosterwaldes hatte ein alter Rabbi eine kleine Hütte gebaut.
Von Zeit zu Zeit pflegte er dorthin zu kommen, um zu fasten und zu beten.
Niemals sprach jemand mit ihm, aber so oft er erschien, ging die Nachricht
von Mönch zu Mönch: „Der Rabbi wandelt im Walde!“ Und so lange er dort
weilte, fühlten sich die Mönche von seiner betenden Gegenwart getragen.
Eines Tages entschloss sich der Abt, den Rabbi aufzusuchen und ihm sein Herz
zu eröffnen. Am Morgen nach der Eucharistiefeier machte er sich auf den Weg
durch den Wald. Als er sich der Hütte näherte, sah er den Rabbi in der Tür
stehen, die Arme weit zum Willkommensgruß ausgebreitet. Es war, als hätte
er schon eine Weile dort gewartet. Die beiden umarmten sich wie lang verlo-
rene Brüder. Dann traten sie zurück und blieben einfach stehen und schauten
einander lächelnd an.
Nach einer Weile lud der Rabbi mit einer Handbewegung den Abt in seine
Hütte ein. Mitten im Zimmer stand ein hölzerner Tisch, auf dem die geöff-
nete Heilige Schrift lag. Einen Augenblick saßen sie dort – in der Gegenwart
des Buches. Dann fing der Rabbi an zu weinen. Der Abt konnte nicht an sich
halten. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und begann auch zu weinen.
Zum ersten Mal in seinem Leben weinte er sich so richtig aus. Wie verlorene
Kinder saßen die zwei Männer dort, ihr Schluchzen erfüllte die Hütte, und ihre
Tränen netzten den Tisch.
Als die Tränen versiegten und alles wieder still war, hob der Rabbi seinen Kopf.
„Du und deine Brüder dienen dem Herrn mit schwerem Herzen“, sagte er, „du
bist gekommen, um dir von mir Rat zu holen. Ich werde dir eine Weisung
geben, aber du darfst sie nur einmal wiederholen. Danach darf niemand sie je
wieder laut aussprechen.“
Der Rabbi schaute den Abt offen und ernst an und sagte: „Der Messias ist
unter euch.“
Eine Weile war es still. Dann sagte der Rabbi: „Du musst nun gehen.“ Ohne ein
Wort, ohne auch nur zurückzuschauen, ging der Abt fort.
Am nächsten Morgen rief der Abt seine Mönche im Kapitelsaal zusammen.
Er erzählte ihnen, dass er vom Rabbi, der im Walde wandelte, eine Weisung
erhalten habe und dass diese Lehre nie wieder laut ausgesprochen werden
dürfe. Dann schaute er seine Brüder einzeln an und sagte: „Der Rabbi hat
gesagt, einer von uns sei der Messias.“
Die Mönche waren von dieser Aussage bestürzt und jeder fragte sich, was
sie bedeuten könne. Ist Bruder Johannes des Messias? Oder Pater Matthä-
us? Oder Bruder Thomas? Bin ich … der Messias?
Alle waren ganz verwirrt von diesem Wort des Rabbi. Aber keiner erwähnte
es jemals wieder. Mit der Zeit begannen die Mönche, einander mit einer ganz
eigenen Ehrfurcht zu begegnen. Etwas Edles und Aufrichtiges, etwas warm-
herzig Menschliches war unter ihnen, das schwer zu beschreiben, aber leicht
zu bemerken war. Sie lebten zusammen wie Menschen, die endlich etwas
gefunden hatten. Gemeinsam betrachteten sie die Schrift wie Menschen,
die immer voll Erwartung waren. Gelegentliche Besucher fühlten sich tief
bewegt vom Leben dieser Mönche.
Nicht lange dauerte es, und Menschen kamen von nah und fern, um durch
das Gebetsleben der Mönche gestärkt zu werden, und junge Männer
baten wieder, Mitglieder dieser Gemeinschaft werden zu dürfen. In dieser
Zeit wandelte der Rabbi nicht mehr durch den Wald. Seine Hütte war zer-
fallen. Aber die Mönche, die seine Weisung beherzigt hatten, fühlten sich
irgendwie von seiner betenden Gegenwart getragen.
Gedanken zur Geschichte
Wie begegnen wir anderen Menschen?
Versuchen wir Gott in jedem Menschen zu entdecken?
Versuchen wir Gott auch in uns zu entdecken?
In unseren Worten?
In unseren Gesten?
In unserem Denken?
In unserem Handeln?
Quelle: nach Francis Dorff